Heilen und Versöhnen, das Hirtenwort unseres Bischofs

Auch in diesem Jahr hat Bischof Wiesemann ein Hirtenwort zur Fastenzeit ausgegeben. Dabei steht "Versöhnen und Heilen" als christlicher Grundauftrag im Mittelpunkt. Versöhnen und Heilen gilt für ihn auch ganz besonders für das Miteinander der christlichen Konfessionen. Für ihn gehört der leidenschaftliche Einsatz für die Einheit der Christen zum innersten Kern des Christseins. Wie sonst können wir glaubwürdig sein? Lesen Sie dazu nachfolgend das komplette Hirtenwort oder schauen Sie sich das Video auf Youtube an.

Liebe Schwestern und Brüder!
„Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht“ (Mt 17,2). Mit dem eben gehörten Schriftwort von der Verklärung Jesu bricht heute schon der helle Glanz des Ostermorgens in das Violett der österlichen Bußzeit herein. In seinem Licht verwandelt sich das Leben von innen her. Wir können uns den dunklen Seiten unseres Lebens stellen – sein Licht ist stärker. Wir können mit Mut und Freude den Weg der Buße und Versöhnung gehen – denn sein Licht hat die Kraft, die Wunden zu heilen.

Versöhnen und heilen – das ist von Anfang an der christliche Grundauftrag. Christus ist gekommen, um Versöhnung unter den Menschen zu stiften und die Wunden der Feindschaft und des Hasses zu heilen. „Er riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder“ und versöhnte uns „durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib“ – so heißt es im Epheserbrief (Eph 2, 14.16). Und im ersten Petrusbrief lesen wir: „Durch seine Wunden seid ihr geheilt.“ (1 Petr 2,24) Deshalb geht der leidenschaftliche Appell des Apostels Paulus an uns alle: „Das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit Gott versöhnt hat und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat… Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt…: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ (2 Kor 5, 18.20) Wir Christen sind Diener der Versöhnung, die von Gott kommt. Das ist unsere Grundbestimmung in der Welt und für die Welt. Uns ist der Dienst des Heilens aufgetragen. Papst Franziskus erinnert uns zu Recht immer wieder daran, dass die Kirche vor allem Feldlazarett für die Verwundeten dieser Welt sein muss. Er verortet mit Christus die Kirche in den Wunden dieser Welt. Und er will uns zu einer neuen Theologie und seelsorgerlichen Praxis bewegen, die grundlegend von dem Auftrag des Versöhnens und Heilens her denkt und handelt.

In jedem Jahr wird uns die österliche Bußzeit als Gnadenzeit geschenkt, damit wir uns selbst und unsere gelebte Gemeinschaft als Kirche vor Ort wieder ganz auf unsere Sendung und Bestimmung hin ausrichten. Das können wir aber nur, wenn wir uns auch ganz persönlich der Versöhnung und der Heilung durch die Liebe Christi unterstellen. Ich weiß, dass vielen das Sakrament der Buße fremd geworden ist. Vielleicht auch, weil seine heilende Kraft nicht gespürt wurde. Von mir selber aber kann ich aus ganzem Herzen bezeugen, wie tief ergreifend und ermutigend die Erfahrung dieses Sakramentes sein kann. Das gilt vor allem, wenn es in der Gemeinschaft gefeiert wird und man in der geistlichen Freude all derer, die diesen versöhnenden und heilenden Augenblick miteinander teilen, im wahrsten Sinn aufgerichtet und von der Liebe Gottes umarmt wird.

Liebe Schwestern und Brüder!
Ich mache mir Sorgen, wenn ich sehe, wie sich statt dieses christlichen Willens zur Versöhnung, zum Heilen der geschichtlichen Verwundungen und zum Frieden in unserer Welt ganz andere Kräfte in den Vordergrund schieben wollen. Sie proklamieren den absoluten Vorrang der Eigenoder Nationalinteressen und haben keine Scheu dabei, die eigenen dunklen Seiten auszublenden, um sich selbst „groß“ zu machen. Dabei wird die Angst geschürt, dass wir zu kurz kommen könnten oder gewaltsam überfremdet werden, wenn wir statt uns gegenseitig abzuschotten das Leben miteinander teilen. Es muss uns alarmieren, wenn in diesem Zusammenhang öffentlich Forderungen nach einer Wende in der deutschen Erinnerungskultur vorgetragen werden. Kann jemand groß sein, der nicht zu seiner eigenen Geschichte auch mit ihren dunklen Kapiteln steht? Kann es groß sein, wenn wir vergessen, was es für ein Geschenk war nach all dem, was wir Deutschen in der Welt angerichtet hatten, dass unsere europäischen Nachbarn, insbesondere unsere französischen Freunde, uns nach dem II. Weltkrieg die Hand zur Versöhnung entgegengestreckt haben? Wir leben aus der Gnade der Vergebung – und das macht uns nicht klein, sondern verleiht uns die Kraft, auch selbst die Hand zur Versöhnung auszustrecken und Hass und Feindschaft zu überwinden. Das große europäische Versöhnungsprojekt, das uns Frieden und Wohlstand gebracht hat, ist maßgeblich von zutiefst christlich geprägten Politkern vorangetrieben worden. Wir dürfen nicht vergessen, welche Erzfeindschaften auf diese Weise überwunden werden konnten und wie viele jahrhundertealte Wunden verheilen konnten, so dass wir heute in Freiheit und mit offenen Grenzen miteinander leben können.

Wenn Versöhnen und Heilen unser Auftrag in der Welt ist, dann sind wir Christen zuerst selbst in unserem Verhältnis untereinander gefordert. Wie können wir ein Zeichen der Versöhnung und des Heiles in der Welt sein, wenn wir untereinander nicht eins sind? Damit ist eindeutig gesagt, dass Ökumene, der leidenschaftliche Einsatz für die Einheit der Christen, zum innersten Kern unseres Christseins gehört. Dabei schauen wir auf eine Geschichte zurück, die vielfach von Verurteilungen und Ausschließungen geprägt war. Vor allem konfessionsverbindende Ehen und Familien haben das oft sehr schmerzhaft erfahren. Wir wissen, was Vorurteile, Hetze, Verfolgungen, was Angst und Abschottung, was falscher Stolz und einander herabsetzende Überheblichkeit bewirken. Wir haben, und es treibt uns heute die Schamröte ins Gesicht, auch eine blutige Geschichte hinter uns, in der wir sogar vor Krieg nicht zurückgescheut und die Waffen gegen Brüder und Schwestern des gemeinsamen christlichen Glaubens gerichtet haben.

Auf diesem Hintergrund wird uns der große Schatz der ökumenischen Bewegung erst richtig bewusst. Indem wir schmerzhaft spüren, was wir einander angetan haben, öffnen wir uns für die versöhnende Kraft des Evangeliums. So tritt Christus als der, der für unsere Sünden sein Leben hingegeben hat, erneut in die Mitte unseres Lebens. Wir spüren, dass er das Licht der Welt ist – und wir alle von diesem Licht gemeinsam leben.

Dieser zweite Fastensonntag im Jahr des 500jährigen Reformationsgedenkens steht in unserem Land ökumenisch ganz im Zeichen einer solchen versöhnten Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte und der gegenseitigen Verpflichtung, nie wieder der Welt das erbärmliche Bild einer „zankenden Christenheit“ (Alfred Delp) zu liefern, sondern in versöhnter Verschiedenheit mit aller Kraft die sichtbare Einheit zu suchen. In Hildesheim wurde gestern (heute) ein großer ökumenischer Buß- und Versöhnungsgottesdienst auf Bundesebene gefeiert. Heute (morgen) werden Kirchenpräsident Christian Schad und ich für die Landeskirche und das Bistum einen solchen „Healing of memories“- Gottesdienst in der alten Abteikirche von Otterberg feiern, die fast dreihundert Jahre lang durch ein dicke Mauer in einen katholischen und einen protestantischen Teil geteilt war. Die Mauer ist vor einigen Jahren gefallen – und die Kirche ist heute der gemeinsame Mittelpunkt der evangelischen wie der katholischen Gemeinde. So macht schon der Ort unmittelbar anschaulich, was mit dem Prozess des „Healing of Memories“, der „Heilung der Erinnerungen“ als „Heilung durch Erinnerung“ gemeint ist.

Wie viele Konflikte in unserer Welt könnten aus ihrer Hoffnungslosigkeit schon allein dadurch befreit werden, wenn man nur einander zuhören würde! Wir Christen können heute unsere Geschichte ohne gegenseitige Schuldzuweisungen gemeinsam erzählen. Wir stellen uns gemeinsam unter die versöhnende Kraft des Evangeliums. Für uns ist das Leid des anderen zum brennenden Schmerz eigener Reue geworden. Und auf die Gaben des Anderen schauen wir nicht mit Neid, sie sind uns Anlass zur Freude. Wir müssen uns nicht mehr gegeneinander abgrenzen, sondern wir wissen, dass wir nur gemeinsam glaubwürdig Zeugnis für Christus ablegen können. Ja, wir können die Erinnerung an 500 Jahre Reformation heute miteinander als Christus-Fest feiern – und ich bin unseren evangelischen Schwestern und Brüdern dankbar, dass sie ihr Jubiläum bewusst ökumenisch ausrichten. Wir sind zwar noch nicht am Ziel angekommen. Aber wir können heute sehr dankbar sein für das bei uns in der Pfalz und der Saarpfalz Erreichte. Vielen Menschen sind die Versöhnung und die sichtbare Einheit aller Christen zum Herzensanliegen geworden ist. Mit dem Apostel Paulus preisen wir das Wirken der Gnade Gottes: „Das Alte ist vergangen; siehe, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat.“ (2 Kor 5, 17b-18)

Von diesen Versöhnungsgottesdiensten und den vielen anderen gemeinsamen Initiativen im Jahr des Reformationsgedenkens erhoffe ich mir eine neue ökumenische Leidenschaft. Ich freue mich über die große Zahl derer, die miteinander den ökumenisch-geistlichen Weg „zusammen wachsen“ zu zentralen Themen der Reformation gehen. Ich bin dankbar für die vielen Veranstaltungen, in denen die Impulse der Reformationszeit auf ihre Bedeutung für unser Christsein heute befragt werden. Ich lade Sie herzlich ein, diese und andere Möglichkeiten ökumenischer Begegnung wahrzunehmen. Dabei können wir uns gegenseitig unsere persönliche ökumenische Geschichte mit allen Bereicherungen, aber auch mit unseren Verwundungen erzählen, immer in der Bereitschaft, dass wir auch selbst unsere Vorurteile und Einseitigkeiten im Dialog mit den anderen aufbrechen lassen.

Liebe Schwestern und Brüder,
die Versöhnung ist eine Frucht der Liebe Christi, die uns dazu drängt, das Leben vollständig miteinander zu teilen. Auf diesem Hintergrund ist es schmerzlich, dass wir am Tisch des Herrn noch nicht eins sind. Gerade das Geheimnis der Eucharistie ist ja das von Gott geschenkte sichtbare Zeichen, dass wir ein Geist und ein Leib in Christus sind. Das muss unsere große Sehnsucht bleiben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht beim Ziel eines friedlichen Nebeneinanders der Konfessionen stehen bleiben. Die Versöhnung drängt in der Liebe Christi zu sichtbarer Einheit. Dabei freuen wir uns an der Unterschiedlichkeit der Gaben, die wir in das gemeinsame Haus der Ökumene einbringen.

Das gilt insbesondere für die vielen konfessionsverbindenden Ehen. Sie verwirklichen das, was Ökumene im Wortsinn bedeutet, auf besonders dichte Weise: das Zusammenwohnen in der einen Hausgemeinschaft Gottes. Ich nehme die Verpflichtung in unserem ökumenischen Leitfaden sehr ernst, mich gerade hier für Lösungen einzusetzen, die der Wirklichkeit dieser gelebten Einheit im Kleinen einer Hauskirche besser gerecht werden.

In diesem Jahr feiern wir zu Pfingsten das zweihundertjährige Jubiläum der Neugründung unseres Bistums. Dabei wollen wir uns an die erneuernde Kraft des Geistes erinnern: „Seht, ich mache alles neu.“ (Offb 21,5) Ich möchte alle dazu ganz herzlich nach Speyer einladen. Natürlich wollen wir bei diesem Anlass nach dem Hochamt am Pfingstmontag wieder für alle Menschen den Domnapf mit dem Wein der Freude füllen. Beginnen wollen wir aber bewusst am Pfingstsonntag im Dom mit einer ökumenischen Vesper. Wir möchten nicht ohne unsere in der konkreten Kirchengemeinschaft zwar noch von uns getrennten, durch das Band der Taufe aber schon mit uns geeinten Brüder und Schwestern im Glauben feiern und in die Zukunft gehen. Der Weg der Ökumene ist für uns unumkehrbar. Unser Dom zu Speyer, dessen Bau vor den großen Kirchenspaltungen begonnen wurde, ist uns ein Symbol und eine Mahnung. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, dass wir gemeinsam in der einen Hausgemeinschaft Gottes wohnen können. So strahlt Christus, das Licht der Welt, in uns und durch uns auf, damit die Welt glaube.

Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete, mit Gott und untereinander versöhnende, heilsame Zeit der Vorbereitung auf das Fest der Auferstehung,

Ihr Bischof Karl-Heinz Wiesemann



Bild: SteveK im Mediawiki