Veronika- Wahrheit oder Legende

…oder ist das etwa kein Gegensatz?


Bernhard:Warst du schon mal in Manoppello in den Abruzzen in Italien?
Hartmut:Manoppello…nie gehört… Abruzzen…ist das nicht da, wo die schrecklichen Erdbeben waren …? Aber Manoppello …Nein, das sagt mir nix.
Bernhard:Aber vielleicht kennst du ja Rom?
Hartmut:Was heißt denn kennen? Vom Fernsehen, klar. Aber das ist mir zu weit und zu teuer und vor allem zu hektisch?
Bernhard:Dann ist Kornelimünster vielleicht eher was für Dich? Klein und gemütlich und nur 250 km mit dem Auto.
Hartmut:Kornelimünster? Sagt mir nix. Ich wüsste auch nicht, warum ich dorthin fahren sollte. Und überhaupt…Was soll diese ganze Fragerei?
Bernhard:Nun Du gehörst doch zur Pfarrei Heilige Veronika.
Hartmut:Ja, schon, aber was hat das jetzt damit zu tun?
Bernhard:In Manoppello, in Rom, in Kornelimünster und noch in mindestens zwei anderen Städten im Vorderen Orient wird das Schweißtuch der Heiligen Veronika aufbewahrt. Der Frau, die Jesus auf seinem letzten Weg zum Kreuz ein Tuch reichte. Und die Legende erzählt, dass sich dabei das Gesicht Jesu in das Tuch hineindrückte.
Hartmut:Da haben wir es schon wieder… Ist ja eine ganz nette Geschichte, aber wer kann denn so was heute noch glauben? Veronika kommt ja noch nicht mal in der Bibel vor. Historisch ist diese Frau wahrscheinlich dann wohl auch nicht, oder? Und was wissen wir überhaupt über Veronika?
Bernhard:Eigentlich ziemlich wenig, aber immerhin genug, um sie als Vorbild zu entdecken! Genau deshalb wird die Veronika-Legende erzählt und sie tausendfach dargestellt in der 6. Kreuzwegstation überall auf der ganzen Welt.
Hartmut:Das ist jetzt mal wieder so eine typische „Kirchenfritze-Antwort“. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Nur weil Veronika weltweit im Kreuzweg zu sehen ist, wird sie auch nicht realer. Wahrscheinlich hat’s die nämlich gar nicht gegeben.
Bernhard:Ok, sagen wir mal, es hat sie nicht gegeben. Bist du dir da ganz sicher?
Hartmut:Was heißt denn schon sicher? Mag ja sein, dass der Kern der Legende wahr ist. Aber das Meiste ist wahrscheinlich erfunden. Das sieht man doch schon daran, dass an mindestens fünf Orten dieses Schweißtuch zu sehen sein soll. Legende eben. Wahrheit geht anders.
Bernhard:Was meinst Du mit Wahrheit?
Hartmut:Na… Realität eben. Das was man beweisen kann …so mit historischen Quellen und Zeitzeugen und so.
Bernhard:Ich denke, da liegst du falsch. Wahrheit und Realität sind eben nicht unbedingt dasselbe. Aber sie können es werden.
Hartmut:Oh Mann, jetzt wird es aber spitzfindig und kompliziert.
Bernhard:Stimmt…aber wer hat denn gesagt, dass das Leben einfach ist? Und in einer Zeit des Postfaktischen und der alternativen Fakten wird es noch schwieriger.
Hartmut:Na dann fang mal an mir das mit der Realität und der Wahrheit zu erklären…aber mach’s bitte kurz. Und rede nicht um den heißen Brei herum wie so oft bei den Theologen. Und sag’s mir so, als würden wir ein Glas Wein zusammen trinken.
Bernhard:Ich will es versuchen…und das mit dem Glas Wein, das kommt erst hinterher… Wer bei einer Legende nach dem wahren Kern sucht und den Rest als erfundene… sagen wir mal … Märchengeschichte betrachtet, der ist schon auf dem gedanklichen Holzweg. Wir sind es gewohnt, alles zu überprüfen. Wahr ist dann nur, was sich beweisen lässt. Aber Legenden erzählen eine Wahrheit, die erst dann wirklich wahr wird, wenn wir sie Realität werden lassen.
Hartmut:Jetzt geht’s ab…! Ich hab doch gesagt…Knapp und deutlich…Sag doch bitte den letzten Satz nochmal.
Bernhard:Ok…kein Problem… Legenden erzählen eine Wahrheit, die erst wirklich wahr wird, wenn w i r sie Realität werden lassen.
Hartmut:Geht das auch in einfach für die normalen Menschen und bitte ganz konkret…Warum soll ich die Legende von der Veronika ernst nehmen, auch wenn sie nicht wirklich historisch ist.
Bernhard:Im Grunde hast du dir die Antwort schon selbst gegeben: Nimm die Legende nicht wörtlich, sondern nimm sie ernst. Und vor allem …Lass das Wirklichkeit werden, was die Legende als Wahrheit erzählt.
Hartmut:Und was wäre das jetzt bei der Veronika? Aber jetzt bitte, bitte keine hohlen Phrasen und fromme Sprüche mit nix dahinter…Sag mir jetzt endlich, was die Wahrheit hinter dem Tuch der Veronika ist?
Bernhard:Wahr ist, dass es heute wie zur Zeit Jesu Menschen gibt, die Hilfe brauchen. Die liebenswert sind, weil uns in den Menschen der Mensch an sich begegnet und für uns Christen der Menschgewordene selbst.
Hartmut:Hey,hey…komm mal wieder runter von deinem Theologentripp. Das versteht heute sowieso keiner mehr und die Leute schalten ab und hören nicht zu. Sag mir: Wie kann ich als Mensch des 21. Jahrhunderts die Veronika ernst nehmen? Denk dran… wie beim Weintrinken---
Bernhard:Okay, wie du willst…Aber sag nachher nicht…das klingt zu banal. Also Alter… Im Leben hast du immer zwei Möglichkeiten…Du kannst zu schauen, wie im Betrieb, in der Schule, in der Nachbarschaft und in der Pfarrei vieles total daneben geht. Du kannst zuschauen, wegschauen oder hinschauen. Du kannst weglaufen oder anpacken. Es liegt an dir.
Hartmut:Konkret…kein Gelalle…
Bernhard:Ja, ja ist ja gut…Wie gesagt du hast immer zwei Möglichkeiten. Stell dir vor, du weißt, dass es Deinem Nachbarn schlecht geht. Das ist die Wahrheit und du kannst diese Wahrheit zu einer neuen Wirklichkeit werden lassen, wenn du hingehst und …
Hartmut:Mit ihm ein Glas Wein trinkst?
Bernhard:Wenn das der Anfang einer neuen Wirklichkeit wird und er plötzlich nicht nur dein Nachbar ist, sondern mehr, dann meinetwegen auch ein Glas Wein… Aber belass es nicht dabei. Lass wahr werden, was du als Christ erhoffst…fang einfach an. Oder…in deinem Betrieb…Schau nicht weg, wenn Kollegen Hilfe brauchen oder wenn sie ungerecht behandelt werden. Ein klares oder tröstendes Wort wirkt manchmal Wunder. Und…es schafft eine neue Wirklichkeit.
Hartmut:Das sagt sich so einfach…Das kann aber nicht jeder…
Bernhard:Muss auch nicht jeder… Bring das was du kannst ins Spiel für andere. Pack an mit deinen Händen. Oder leg deinen Arm um jemanden der traurig ist. Schenk ihm einen Augen – Blick. Sing für ihn ein tröstendes oder fröhliches Lied. Reich ihm ein Taschentuch zum Naseputzen und Tränen trocknen. Schenk ein bisschen Nähe und Zärtlichkeit und du wirst sehen…die Welt wird eine andere. Dann wird im Kleinen wahr, was Christen im Großen in einer neuen Wirklichkeit erwarten.
Hartmut:Du pass auf…Das mit der Wahrheit und der Wirklichkeit, das hab ich immer noch nicht so ganz verstanden. Wahrscheinlich geht es da nicht nur mir so. Aber egal…Sag mir bitte nur noch…Bist du sicher, dass so kleine Kleinigkeiten wirklich eine neue Wirklichkeit schaffen können?
Bernhard:Da bin ich mir nicht nur totsicher, sondern lebenssicher und das hat sogar die Wissenschaft festgestellt. Pass auf: Die Wissenschaft weiß heute, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in der Südsee am anderen Ende der Welt, in der Karibik, unter ganz bestimmten Voraussetzungen einen Hurrikan auslösen kann. Man nennt das den Butterfly-Effekt.
Hartmut:Ach komm hör auf …Das glaubt dir doch keiner…Schmetterling und Hurrikan…
Bernhard:Doch! Jede Kleinigkeit kann eine neue Wirklichkeit schaffen, auch wenn es viele nicht für möglich halten. Kaum zu glauben, aber die reine Wahrheit.
Hartmut:Soll ich dir was sagen…In vino veritas. Im Wein liegt die Wahrheit. Mit dieser Kleinigkeit könnten wir ja schon mal anfangen. Und wer weiß was daraus dann noch werden kann. Vielleicht sogar etwas ganz großes…so wie bei dem Schmetterling. Aber eins muss ich doch noch wissen. Was meinst du: wo finde ich denn nun das Schweißtuch der Veronika? In Manoppello, in Rom oder in Kornelimünster?
Bernhard:Ganz ehrlich…ich weiß es nicht.

Und zum Schluss die Frage an Sie: Kennen Sie sich in ihrer Westentasche oder meinetwegen auch Hosentasche aus? Schauen Sie doch mal dort ganz genau nach. Ich vermute mal, dort werden Sie dieses Schweißtuch eher finden als irgendwo sonst in der Welt… Und denken Sie dran: Die Legende erzählt eine Wahrheit; die erst durch Sie und mich Wirklichkeit werden muss, sonst glaubt sie keiner. Und damit das Wirklichkeit wird, damit andere zum Glauben kommen, deshalb sind wir getauft und gefirmt.



Text: Bernhard: Kimmling, Hartmut: Marondel